„Im Kalten Krieg entscheiden die Bataillone der besseren Sozialleistungen“ – Verhältnis von Kommunismus und Sozialpolitik von 1945 bis in die Gegenwart

„Im Kalten Krieg entscheiden die Bataillone der besseren Sozialleistungen“ – Verhältnis von Kommunismus und Sozialpolitik von 1945 bis in die Gegenwart

Organisatoren
FIS-Nachwuchsgruppe „Der ‚aktivierende Sozialstaat‘ – eine Politik- und Gesellschaftsgeschichte deutscher Sozialpolitik, 1979–2017“, SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik, Universität Bremen; Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung
Förderer
Gerda-und-Hermann-Weber-Stiftung
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
08.06.2022 - 10.06.2022
Von
Wanda Schwarze-Wippern, SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik, Universität Bremen

Die 4. Hermann-Weber-Konferenz zur historischen Kommunismusforschung beschäftigte sich mit dem Verhältnis von Kommunismus und Sozialpolitik während des Kalten Krieges und der Transformationsphase ab 1989. Der Titel der Konferenz zitiert den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Ludwig Preller im Wahlkampf 1953, der das sozialpolitische Feld im Wettkampf der Systeme im Kalten Krieg für entscheidend hielt. Dass sozialpolitische Maßnahmen bzw. ihr Versprechen im Kommunismus als wichtiges Legitimationsmittel dienten, sorgte im Westen für entsprechenden Reformdruck. Die Konferenz lieferte zahlreiche Antworten auf die Frage nach der Rolle von Sozialpolitik im Kalten Krieg. Außerdem beschäftigte sie sich mit der Transformationsphase ab 1989, als nach dem Wegfall der sozialistischen Systemkonkurrenz neoliberal geprägte Leitbilder in westlichen Wohlfahrtsstaaten zum Abbau sozialstaatlicher Leistungen beitrugen.

Nach der Eröffnung der Konferenz durch Ulrich Mählert (Berlin) stellte NIKOLAS DÖRR (Bremen) in seiner Einleitung grundlegende Überlegungen zum Verhältnis von Sozialpolitik, Kommunismus und Kaltem Krieg vor.

In ihrem anschließenden Auftaktvortrag lieferten HERBERT OBINGER (Bremen), KLAUS PETERSEN (Odense) und MICHELE MIONI (Bamberg) einen Vorschlag für eine systematisierte Analyse des Verhältnisses von Kaltem Krieg und Sozialpolitik. Basierend auf der Annahme, dass der Kalte Krieg als kausaler Mechanismus für die sozialstaatliche Entwicklung diente, stellten sie ein Kategoriensystem vor, um Vergleiche zwischen verschiedenen Wohlfahrtsstaaten zu ermöglichen. Demnach beeinflussten sechs zentrale Mechanismen die sozialstaatliche Entwicklung: Systemkonkurrenz, der Trade-off zwischen Militär- und Sozialausgaben, der Einfluss kommunistischer Parteien, Anti-Kommunismus, Dritter-Weg-Modelle und zuletzt die Politikdiffusion zwischen den und innerhalb der Blöcke. Die Vortragenden schlossen, dass der Kalte Krieg für das Verständnis wohlfahrtsstaatlicher Entwicklungen wichtig ist.

Entgegen der gängigen Betrachtung kommunistischer Systeme als homogene Gruppe hoben viele Beiträge die Variationen in der Sozialpolitik sowohl zwischen verschiedenen Ländern als auch innerhalb einzelner Staaten hervor und bereicherten den Austausch durch ihre unterschiedlichen thematischen und geografischen Blickwinkel.

Im ersten Panel stellten MARIA IGNATOVA-PFARR (Bremen) und CARINA SCHMITT (Bamberg) ihre Arbeit zu Bulgarien vor, das in der bisherigen Forschung keine besondere Aufmerksamkeit erfahren hat. An zwei rentenpolitischen Reformen von 1957 und 1975 zeigten sie, dass die Expansion von Sozialpolitik während des Kalten Krieges in Bulgarien heterogen verlief und auch von innenpolitischen Faktoren beeinflusst wurde.

PAUL STUBBS (Zagreb) folgte ihrem Plädoyer für die differenzierte Betrachtung sozialpolitischer Expansion im kommunistischen Block und darüber hinaus und arbeitete die Besonderheiten der Sozialpolitik Jugoslawiens und der Bewegung blockfreier Staaten heraus. Der Transfer sozialstaatlicher Entwicklungen war im Fall von Jugoslawien multidirektional. Die Blockfreien-Bewegung diente dabei auch als Mittel des Exports der jugoslawischen Sozialpolitik in den Globalen Süden.

Dagegen untersuchte BOTAKOZ KASSYMBEKOVA (Basel) mithilfe von Oral History, wie Rentenpolitik im sowjetischen Russland von Rentner:innen erlebt wurde. Die Verteilung der Renten war stark hierarchisiert; Kollektivbauern wurden von Arbeiter:innen unterschieden. Sie erhielten keine zum Leben ausreichende Rente, sodass sie weiter arbeiten mussten.

Andere Beiträge rückten die Rolle der Systemkonkurrenz stärker in den Fokus. Anhand von Medienberichten zur Sozialstaatsreform in der Tschechoslowakei 1956 arbeitete JUDITH BREHMER (München) heraus, wie die Abgrenzung vom Kapitalismus zugleich eine Abgrenzung von der eigenen Geschichte bedeutete. Die Reform galt öffentlich nämlich nicht nur als Meilenstein der Erfolgsgeschichte des Sozialismus in Abgrenzung vom Kapitalismus, sondern auch zur ersten Republik, der Zeit von der Unabhängigkeit 1918 bis zur erzwungenen Abtretung der sudetendeutschen Gebiete 1938.

MICHAEL ZOK (Warschau) sprach anschließend über die Auswirkungen von Sozialpolitik auf (Frauen-)Erwerbstätigkeit in Polen zwischen 1970 und 1990, wobei der katholischen Kirche eine bedeutende Rolle zukam. Seine These lautete, dass mit dem Führungswechsel an der Spitze der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei im Jahr 1970 die (Re-)Maskulinisierung des Arbeitsmarktes und die Durchsetzung traditioneller Rollenmuster in Polen begann.

Der Einfluss des Kalten Krieges auf Sozialpolitik wurde nicht nur mit Blick auf den Ostblock diskutiert. In ihrem Vortrag über Chiles Sozialpolitik plädierte DELIA GONZÁLES DE REUFELS (Bremen) für die Berücksichtigung der besonderen Umstände des Kalten Krieges in Lateinamerika. Hier war die Zeit weniger von einem langen Frieden, als vielmehr von bewaffnetem Konflikt, Gewalt und Umstürzen geprägt. Der Militärputsch 1973 lasse sich auch als Angriff auf die chilenische Sozialpolitik verstehen. Die Militärregierung zog sich aus der sozialpolitischen Verantwortung zurück und reduzierte ihre Staatsausgaben. Als Folge waren immer mehr Menschen von Armut betroffen, und die Verteilung von Reichtum wurde immer ungleicher. Chile diente nach dem Ende des Kalten Krieges, u.a. durch den Transfer der Ideen des chilenischen Ministers José Pinera, als Referenzpunkt für osteuropäische Länder.

Mit einem Fokus auf deutsch-deutsche Unterschiede arbeitete WOLFGANG SCHRÖDER (Kassel/Berlin) die Entwicklung der Gewerkschaften im und nach dem Kalten Krieg heraus. In Westdeutschland kam es nach dem Kriegsende in den Einheitsgewerkschaften zu Konflikten zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten, vor allem über die Bildungsarbeit. Im Osten fungierte der FDGB als „kommunistisch kontrollierte Staatsgewerkschaft“. In den 1990er-Jahren kam es zu einer Transformation des deutschen Gewerkschaftsmodells. Globalisierung, Digitalisierung und Flexibilisierung hatten zur Folge, dass neue Wirtschaftsbereiche, vor allem im Niedriglohnsektor, mit äußerst geringem gewerkschaftlichen Organisationsgrad entstanden. Die Mitgliederzahl habe sich seit der Wiedervereinigung halbiert.

Mit einer Keynote zu Lehren und Perspektiven der Wohlfahrtsstaatsforschung zu zentral- und osteuropäischen Staaten beschloss TOMASZ INGLOT (Mankato, MN) den ersten Konferenztag. Inglot nannte vier wichtige Faktoren für die Forschung: die Bedeutung von Periodisierung, die Vorteile von vergleichender Forschung, neue Theorien für die Erklärung von Kontinuität und Wandel und die internationale Dimension wohlfahrtsstaatlicher Entwicklung. Neue Theorien oder Versuche, die Entwicklung der osteuropäischen Wohlfahrtsstaaten zu erklären, bedürfen der Betrachtung von Institutionen, Akteuren und Ideen. Zu Akteuren zählt neben Bürokrat:innen und Expert:innen auch die Zivilgesellschaft. Es habe nur zwei (gescheiterte) Versuche gegeben, ein gemeinsames sozialistisches Sozialstaatsmodell in Osteuropa zu schaffen. Zuerst scheiterte die stalinistische Beschäftigungsinitiative in der Nachkriegszeit an Ressourcenmangel, Missmanagement und Konflikten. Der zweite Versuch scheiterte in den 1970er-Jahren an nationalen Unterschieden in Demografie und Arbeitskräfteangebot und an Ungleichheiten. Stattdessen bildeten sich nationale Besonderheiten heraus. Inglot unterschied zwischen dem traditionellen, an Müttern orientierten Leistungsmodell Polens, dem familienorientierten Modell Ungarns und dem kinderorientierten Modell Rumäniens.

Am zweiten Konferenztag setzten sich die Teilnehmer:innen zunächst mit Westeuropa auseinander. MARION DOTTER (Rom/München) zeigte am Beispiel Österreichs, wie die Kirche zwischen 1945 und 1958 mit eigenen sozialpolitischen Maßnahmen auf Kommunismus und Sozialismus reagierte. Papst Pius XII. bezeichnete Österreich als „Festung gegen den kommunistischen Osten“. Sie reagierte mit karitativen Maßnahmen auf Kritik aus dem linken Lager und initiierte eine Siedlungsaktion auf den eigenen Ländereien und brachte Sudetendeutsche im Siedlungswerk „Heimat Österreich“ unter, um öffentlicher Kritik an der Kirche entgegenzusteuern.

CHRIS DEEMING (Glasgow) behandelte die Regierungszeit von Margaret Thatcher und ihren Beitrag zur Entwicklung des britischen Wohlfahrtsstaates während des Kalten Krieges. Er untersuchte den Wandel zum aktivierenden Sozialstaat und wie sich Vorstellungen von deservingness während Thatchers Regierungszeit veränderten. Dabei wurde deutlich, dass sich diskursiver und institutioneller Wandel unterscheiden lassen, da trotz der Einführung von Workfare-Maßnahmen die Einstellungen zu Arbeitslosigkeit in der britischen Bevölkerung zunächst weiterhin von Mitgefühl geprägt waren.

THOMAS LINDENBERGER (Dresden) gab einen Einblick in den Arbeitsschutz der DDR, dem er als „regulierte Selbstregulierung“ (Wolfgang Ayaß) eine wichtige Rolle in Zeiten der Systemkonkurrenz zumaß. Der Arbeitsschutz war stark in die Arbeiterbewegung eingebunden und wichtig für diejenigen, die zuvor für Unfälle selbst verantwortlich gemacht worden waren. Der DDR-Arbeitsschutz, den das Zentrale Institut für Arbeitsschutz an der Technischen Universität Dresden unter Leitung des Psychologen Erwin Gniza erarbeitete, fußte auf zwei Aspekten: der Qualität der Arbeitsmittel und Maßnahmen zur Gewährleistung der Arbeitssicherheit. Diese waren insofern sozialhistorisch progressiv, als dass sie eine prinzipielle Umkehr der Beweislast bedeuteten. Allerdings bestand eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, weil die Implementierung oft mangelhaft war. Nach der Wiedervereinigung erwies sich der Arbeitsschutz im Osten als größtenteils konform mit dem europäischen und erhielt große Wertschätzung im Westen.

Lindenbergers Vortrag diente als Auftakt für die Auseinandersetzung mit dem Sonderfall des geteilten Deutschlands, mit der sich im Anschluss zwei parallele Panels beschäftigten. CHRISTOPH LORKE (Münster) sprach über die Instrumentalisierung von Armutsbildern in West- und Ostdeutschland während des Kalten Krieges und zeigte damit die Bedeutung von Sozialpolitik in der staatlichen Propaganda auf. Bis heute sind tatsächliche oder vermeintliche Leistungen des sozialistischen Wohlfahrtsstaats in der DDR ein politisch sensibles Thema. Lorke machte auch den Einfluss medialer Berichterstattung über Armut im engeren und den Sozialstaat im erweiterten Sinne deutlich.

Mit der Entwicklung der Pflegepolitik setzte sich NICOLE KRAMER (Köln) auseinander. In Anlehnung an Helmut Kohls Prognose der „blühenden Landschaften“ zeichnete sie eindrucksvoll den „blühenden Wohlfahrtsmarkt“ seit der Wiedervereinigung nach. Als jüngste der deutschen Sozialversicherungen setzte die Pflegeversicherung seit ihrer Einführung 1995 auf den Vorrang gewerblicher Anbieter. Ehemalige Krankenschwestern aus der DDR machten sich beispielsweise mit Pflegediensten selbstständig.

MAREN HACHMEISTER (Dresden) beschäftigte sich mit dem wenig bekannten Fall der „Komplexvereinbarungen“, einem Instrument zur Sicherung der Altenfürsorge in der DDR. Dabei handelte es sich um schriftliche Vereinbarungen zwischen kommunalen Verwaltungen auf der einen sowie Betrieben und Organisationen auf der anderen Seite, die geschlossen wurden, wenn Probleme in sozialpolitischen Bereichen auftraten. Sie stellten einen praktikablen Weg dar, abseits zentralstaatlicher Vorgaben individuelle sozialpolitische Lösungsvorschläge zu entwickeln und umzusetzen.

LUKAS GRAWE (Bremen) referierte über die Legitimation pronatalistischer Maßnahmen in der DDR. Die Wissenschaft bemühte sich um ökonomische Argumente, um eine „sozialistische Bevölkerungspolitik“ in Abgrenzung zum Dritten Reich zu legitimieren. Propagandistisch bemühte sich die SED-Führung darum, sowohl ihrer eigenen Bevölkerung als auch dem Westen Überlegenheit zu zeigen.

JESSICA LINDNER-ELSNER (Potsdam) sprach über das Verhältnis sozialpolitischer Maßnahmen und der Erwerbstätigkeit von Frauen in DDR-Betrieben, wobei es speziell um geschlechtsspezifische Ungleichheiten durch betriebliche Sozialpolitik ging. Nach 1989 stieg die Arbeitslosenquote, und Erwerbschancen verschlechterten sich. Vor allem Frauen mit Kindern, denen nun die Betreuungsmöglichkeiten fehlten, waren benachteiligt und wurden oft in die Hausfrauenrolle zurückgedrängt.

KONRAD SZIEDAT (München) beschäftigte sich mit der westdeutschen Linken und ihren Transformationserwartungen. Er untersuchte den Ursprung des Neologismus „Zivilgesellschaft“, die heute wie selbstverständlich als Teil einer offenen Gesellschaft verstanden wird. Ihren Ursprung verortete Sziedat mit Hilfe von historischer Semantik und Netzwerkanalyse in den Solidaritätsbekundungen westdeutscher Linker zur polnischen Solidarność.

Das letzte Konferenzpanel beschäftigte sich mit dem Globalen Süden. ALI AKBAR TAJMAZINANI (Teheran) sprach über die Entwicklung sozialpolitischer Maßnahmen im Iran seit Beginn des Kalten Krieges. Er unterschied drei Phasen der sozialpolitischen Entwicklung. Zu Beginn des Kalten Krieges sollten soziale und ökonomische Maßnahmen den Kommunismus eindämmen, so vor allem gegen die 1941 gegründete marxistisch-leninistische Tudeh-Partei, die „Partei der Massen“. In der islamischen Revolution 1979 spielten auch im Westen häufig vernachlässigte linksislamische Gruppen eine wichtige Rolle. Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Iran-Irak-Krieg begann eine Phase der strukturellen Anpassung. Tajmazinani bestätigte, dass der Kalte Krieg ein wichtiger (in)direkter Einflussfaktor auf die wohlfahrtsstaatlicher Entwicklung war. Der Öl-Boom machte den Ausbau des iranischen Sozialstaats möglich.

NATALIA MATVEEVA (Moskau) sprach über die Gesundheitspolitik in Nordkorea im frühen Kalten Krieg. Hier boten anfangs, in den 1940er-Jahren, vor allem sowjetische Experten Orientierung und stießen eine Umstrukturierung des Krankenhaussystems an, um Epidemien zu verhindern. Die Anzahl der Krankenhäuser und der Gesundheitsfachkräfte wurde unter Leitung einer Zentralregierung und auf Veranlassung von Kim Il-sung drastisch erhöht, um universelle medizinische Versorgung sicherzustellen, die es unter der japanischen Kolonialherrschaft nicht gegeben hatte. Nach dem Korea-Krieg distanzierte sich das Land in den 1950ern von der Sowjetunion und lehnte sich an das maoistische China an. Dieser Wechsel zeigte sich auch in der Gesundheitspolitik. Aufgrund fehlender Wirksamkeit folgte jedoch eine erneute Abkehr, und die Kulturrevolution führte Nordkorea schließlich wieder in eine enge Partnerschaft mit der Sowjetunion. Matveeva zeigte, dass das Gesundheitssystem ein Spiegel der innenpolitischen Entwicklungen und der internationalen Verflechtungen der nordkoreanischen Führung war.

Die Konferenz vereinte auf eindrucksvolle Weise neue Sichtweisen auf das Verhältnis von Sozialpolitik und Kaltem Krieg und den langfristigen Folgen bis in die Gegenwart. Sie profitierte vor allem von globalen Perspektiven, interdisziplinärem Austausch und vielen Anstößen für zukünftige Forschung. Insbesondere die Beteiligung von Wissenschaftler:innen aus mehr als zehn Nationen führte zu einer Multiperspektivität im Umgang mit dem Thema.

Nikolas Dörr beschloss die Konferenz mit einem Fazit. Er lobte den Zugriff zum Thema von verschiedenen Disziplinen, die zusammengedacht werden sollten. Politikwissenschaftler:innen stießen mit der Erarbeitung von Kausalmechanismen auf kulturwissenschaftliche, soziologische und viele historische Beiträge. Die Teilnehmer*innen beschäftigten sich mit verschiedensten sozialpolitischen Akteuren wie Kirche, Regierungen, Parlamenten, Parteien, Militär, Bewegungen und Gewerkschaften. Weitere Beiträge beschäftigten sich mit der Rolle der Medien. Gleichzeitig wurde auf viele Bereiche der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik eingegangen. In vielen Länderstudien wurde auch die Geschichte von Ideen und Konzepten deutlich, die über Grenzen hinaus wanderten. Dafür dienen auch internationale Organisationen wie die EU als Austauschorte. Es lohne sich auch weiterhin, Mikroperspektiven zur Erklärung der Entwicklung von Sozialpolitik in verschiedenen Ländern zu verfolgen. Angeregt wurde eine noch stärkere Auseinandersetzung mit Akteuren des Globalen Südens und auch China. Trotz seiner großen Bedeutung dürfe der Kalte Krieg aber nicht überschätzt werden. Für die 1980er-Jahren sei beispielsweise unklar, ob er überhaupt noch einen größeren Einfluss auf die sozialpolitischen Entwicklungen in den westlichen Staaten gehabt habe, da die Systemkonkurrenz gewonnen schien.

Konferenzübersicht:

Ulrich Mählert (Berlin): Begrüßung

Nikolas Dörr (Bremen): „Im Kalten Krieg entscheiden die Bataillone der besseren Sozialleistungen.“ Einleitende Bemerkungen zum Verhältnis von Sozialpolitik und Kaltem Krieg

Herbert Obinger (Bremen), Klaus Petersen (Odense) und Michele Mioni (Bamberg): Grundlagen des Verhältnisses von Kaltem Krieg, Kommunismus und Sozialpolitik

Panel 1: Sozialpolitik während des Kalten Krieges / Osteuropa

Maria Ignatova-Pfarr / Carina Schmitt (Bremen): Kommunistische Sozialpolitik während des Kalten Krieges – Rentenpolitik in Bulgarien

Paul Stubbs (Zagreb): Exception or Model? Socialist Yugoslavia, Social Policy and Non-Alignment during the Cold War

Botakoz Kassymbekova (Basel): Pensions for Collective Farmers: Hierarchies of Post-War Welfare Reforms in Soviet-Russia

Judith Brehmer (München): Die Überwindung „kapitalistischer Traditionen“. Die Reform des tschechoslowakischen Sozialstaats 1956 in der zeitgenössischen Presse

Michael Zok (Warschau): Sozialpolitik und Demografie im (post-)kommunistischen Polen 1970–1990 – Rückkehr zu traditionellen Begriffen?

Impulsvorträge

Delia Gonzáles de Reufels (Bremen): Chile’s Cold War Social Policy under the last Military Dictatorship

Wolfgang Schroeder (Kassel/Berlin): Die deutschen Gewerkschaften im und nach dem Kalten Krieg

Keynote Lecture

Tomasz Inglot (Mankato, MN): Comparative-Historical Research on Welfare States in Central and Eastern Europe: Lessons and Future Opportunities

Panel 2: Sozialpolitik während des Kalten Krieges / Westeuropa

Marian Dotter (Rom/München): Caritas oder Kommunismus? Die sozialpolitischen Maßnahmen der Kirche in Reaktion auf Kommunismus und Sozialismus am Beispiel Österreich zwischen 1945 und 1958

Chris Deeming (Glasgow): The Premiership of Margaret Thatcher during the Cold War: Ending Communism, activating the British Welfare State?

Impulsvortrag

Thomas Lindenberger (Dresden): Schutzgüte auf Abwegen – oder wie der Arbeitsschutz der DDR den der Bundesrepublik überholte ohne ihn einzuholen

Panel 3: Der Sonderfall des geteilten Deutschlands

Christoph Lorke (Münster): Soziale Ungleichheit beobachten und instrumentalisieren: Sozialpolitik, Armutsbilder und (Anti-)Kommunismus im geteilten Deutschland

Nicole Kramer (Köln): Blühender Wohlfahrtsmarkt – Die Transformation der Pflegepolitik in der Wiedervereinigungsgesellschaft

Maren Hachmeister (Dresden): Sozialpolitik als Selbstverpflichtung – „Komplexvereinbarungen“ in der Altenfürsorge der DDR

Lukas Grawe (Bremen): Die Legitimation pronatalistischer Familienpolitik in der DDR und die Geburtenentwicklung nach Ende des Kalten Krieges

Jessica Lindner-Elsner (Potsdam): „Frau Schmidt verkörpert in fachlicher und gesellschaftlicher Hinsicht die Stellung der werkstätigen Frau im Sozialismus“ – Zum Verhältnis von betrieblicher Sozialpolitik und Geschlecht zwischen 1970 und den frühen 1990er Jahren

Konrad Sziedat (München): Abschied vom real existierenden Sozialstaat? Transformationen in Ost und West und der Wandel linker Zukunftshoffnungen ca. 1980–2000

Panel 4: Sozialpolitik während des Kalten Krieges / Globaler Süden

Ali Akbar Tajmazinani (Teheran): Social Policy Configuration in Iran Dung the Cold War: A Counter-Communism Instrument

Natalia Matveeva (Moskau): The Development of Social(ist) Healthcare in North Korea in the Cold War

Nikolas Dörr (Bremen): Sozialpolitik während und nach dem Kalten Krieg. Ein Fazit